Fliegen – der Freiheit entgegen
Es ist früher Morgen über dem Treptower Park. Es ist der 26. Mai 1989, und nichts deutet darauf hin, dass sich hier gegen 4.30 Uhr eine der spektakulärsten Fluchten der DDR-Geschichte ereignen sollte.
Von einem Fussballfeld im West-Berliner Stadtteil Britz aus waren die Brüder Holger und Ingo Bethke wenige Minuten vorher mit Ultraleichtfliegern zum Treptower Park aufgebrochen, um von dort Ihren Bruder Egbert aus der DDR in den Westen zu holen.
Mehr als zwei Jahre hatten Sie mit den Vorbereitungen für Ihre Fluchthilfe verbracht. Die Brüder trainierten Flugmanöver in der Eifel und in Belgien. Die beiden Ultraleichtflieger wurden wie sowjetische Kampfjets lackiert. Selbst die Sowjetsterne an den Tragflächen fehlten nicht. Aber ob die kleinen Luftfahrzeuge im Falle des Entdecktwerdens tatsächlich für sowjetische Flugzeuge gehalten würden?
Die Angst fliegt mit
Ein Umkehren war nicht mehr möglich. Was wäre aber, wenn sie entdeckt oder gar beschossen würden? Und was würden die DDR-Behörden mit ihnen machen? Die hart erkämpfte Freiheit im Westen der beiden Brüder Holger und Ingo stand auf dem Spiel. Aber es galt ja, ihren Bruder Egbert aus der DDR zu befreien.
Und dann ging alles so schnell: Egbert, der sich unter einem Gebüsch versteckt hatte, lief zu dem kleinen Flugzeug von Ingo, vergaß sogar den Sicherheitsgurt, Ingo und Holger starteten durch, was die Motoren hergaben und landeten Minuten später vor dem Reichstag in West-Berlin.
Unzufriedenheit macht erfinderisch
Obwohl die Behtke-Brüder aus einer SED-treuen Familie in Adlershof stammten, war Ihr Wunsch, die DDR zu verlassen, so stark, dass jeder von Ihnen auf spektakuläre Weise floh.
Ingo hatte schon 1976 den Todesstreifen überwunden und war mit einer Luftmatratze über die Elbe gepaddelt.
Holger spannte 1983 mit Hilfe von Pfeil und Bogen ein Seil zwischen zwei Dachböden in Neukölln und Treptow, an dem er mit einer Laufrolle die Grenzanlagen überwand.
Egbert hätte 1984 sogar die DDR verlassen dürfen, blieb aber damals aus familiären Gründen. Der Traum von der Flucht in den Westen hat ihn aber nie verlassen.
Unter Brüdern
Nun waren also die drei Bethke-Brüder heil im Westen angekommen und gingen erst mal am Kurfürstendamm ein paar Bier trinken.
Ein Problem gab es nämlich noch: Das Flugmanöver war natürlich illegal, und so stellten Sie sich nach der kleinen Freudenfeier am nächsten Tag den West-Berliner Behörden. Nach dreitägigen Verhören durch die Alliierten kamen sie auch im Westen frei, und die Flucht war vollendet.
Ironie der Geschichte
Die beiden Brüder Ingo und Holger Bethke hatten ihr Leben und ihre Existenz in Westdeutschland für dieses Fluchthilfemanöver eingesetzt. Das Risiko für den letzten noch in der DDR lebenden Bruder Egbert war noch größer.
Dass etwas mehr als ein halbes Jahr später die Mauer fiel änderte nichts daran: Die Bethke-Brüder hatten es der DDR noch einmal richtig gezeigt.